Der Abspann beginnt, die Musik setzt ein, das Licht geht an. Ich bin zufrieden. Seit langem hat sich das Geld für die Kinokarte mal wieder gelohnt. Wir stehen gut gelaunt auf und verlassen den Saal im dichten Gedränge. Wir hören, wie sich auch die anderen Besucher euphorisch über den Streifen unterhalten und schlendern gemächlich die Treppe hinunter ins Foyer. An den Popcornständen haben sich schon wieder neue Schlangen gebildet, die Spätvorstellungen fangen bald an. „Ich bin gleich da, will nur noch schnell zur Toilette“, sagt mein bester Kumpel. Ich nicke und bleibe gedankenversunken am Treppenaufgang stehen. Ben Stiller glotzt mich vom Plakat seiner nächsten bescheuerten Komödie mit aufgerissenen Augen von der Seite an und mein Blick gleitet über die Menschenmengen. Und dann bleibt er plötzlich hängen und mein Atem setzt aus.

Diese langen braunen Haare würde ich in kilometerweiter Entfernung erkennen. Jetzt, auf 20 Meter, sind sie in der Lage, meinen Herzschlag zu unterbrechen. Ohne, dass sie sich umdreht, sehe ich ihr Gesicht vor mir. Sehe die spitze Nase und die großen Augen, das breite Grinsen und die hervorblitzenden Zähne. Ich höre ihre hohe Stimme und ihr schallendes Lachen. Und all das versetzt mir schlagartig ein übles Stechen in der Bauchgegend. Sie steht am Popcornstand und neben ihr eine etwas größere Blondine mit schulterlangen Haaren – zweifellos ihre beste Freundin. Auch ihr Gesicht sehe ich vor mir. Diesen mitleidigen Blick, als sie und ich wussten, dass das Kapitel vermutlich gelaufen war. Ich höre ihr aufmunterndes „Kämpf noch mal um sie“, das sie sich vermutlich selbst nicht abgekauft hat.

Da stehe ich nun wie eine Salzsäule und starre in ihre Richtung. Ich sehe vermutlich nicht besser aus als Ben Stiller neben mir und ein flaues Gefühl im Magen wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Fünf Jahre ist der mitleidige Blick ihrer Freundin her und drei Jahre, dass ich ihr mein Herz ein zweites Mal zu Füßen gelegt und ihr gestanden habe, dass ich sie nicht überwinden kann. Mir schießen sofort wieder all ihre Worte in den Kopf, die ich schon damals nicht ertragen habe zu hören. Zweieinhalb Jahre ist es her, dass sie mir zugestimmt hat, wir würden ein Traumpaar abgeben. Aber auch, dass sie jetzt nun mal mit diesem anderen Kerl zusammen ist. So etwas lässt einen erst recht nicht darüber hinwegkommen.

Immer wieder sehe ich eine Gesichtshälfte der beiden, wenn sie sich beim Unterhalten ansehen. Mir ist klar, dass ich hier nicht ewig Wurzeln schlagen kann, denn irgendwann würden sie auch mich sehen und es mehr als merkwürdig finden, dass ich nur dastehe und sie anglotze. Es wäre absolut normal, rüberzugehen und Hallo zu sagen. Erwachsen und vernünftig. Aber ich glaube mittlerweile, dass ich tatsächlich mit dem Fußboden verwachsen bin. Ich hab absolut die Hosen voll und brauche zehn Minuten, um mich zu zwingen, auf sie zu zu gehen.

Schon auf halber Strecke bemerkt sie mich und dreht sich mit demselben freudigen Lächeln um, das mich schon damals alles um mich herum vergessen ließ. Sie ist noch immer die schönste Frau der Welt. Wir nehmen uns in den Arm, länger als sich Ex-Partner in den Arm nehmen und länger als sich sonst irgendwer in den Arm nimmt – egal, wie lange es her ist. Ich drücke auch ihre Freundin, viel kürzer natürlich, und habe sofort das Gefühl, das sich dieser mitleidige Blick wieder unter ihre Freude mischt. Aber sie ist hier gerade sowieso nur Statist und das weiß sie sehr genau. Und ich weiß absolut nicht, was ich jetzt sagen soll.

Zum Glück hilft sie mir auf die Sprünge, fragt mich, wie es mir geht. Ich sage „gut“, obwohl das seit elf Minuten nicht mehr stimmt. Ihr geht es auch gut. Sie fragt mich, ob ich nach wie vor studiere und ich sage „Ja, genau“ und frage sie, was sie jetzt macht, obwohl ich ganz genau weiß, was sie mittlerweile macht. Das hat sie mir schließlich selbst mal erzählt aber ich bin absolut nicht in der Lage, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.

Ich kann mir bildhaft vorstellen, wie dämlich ich aussehe, während ich bloß gezwungen lächle und nicht weiß, wo ich mit meinen Händen hin soll. Mir ist gleichzeitig heiß und kalt, meine Stimme zittert beim Sprechen und meine Knie sind weich wie Pudding. Ich bin mir sicher, dass ihre Freundin das mitkriegt, obwohl ich sie nicht einmal ansehe und sie nur genauso hilflos daneben steht. Ich beantworte brav ihre Fragen und kriege es kaum hin, selbst eine zu stellen. Mir ist schlecht und ich weiß jetzt, dass es ein Fehler war, sie anzusprechen. Ich bin nach all den Jahren immer noch nicht so weit und das jagt mir zusätzlich eine Heidenangst ein.

Das Gespräch ist ein Desaster, auch wenn die Wiedersehensfreude absolut ehrlich ist. Keinen Menschen hätte ich lieber wiedergesehen aber ich kann weder sicher stehen noch sicher sprechen. Und ich frage mich, wie lange ein Mann zur Toilette gehen kann – selbst in einem überfüllten Kino. Im selben Moment stößt mein bester Freund wieder dazu, begrüßt die Mädels höflich und weist, während er mir die Hand auf die Schulter legt, darauf hin, dass wir leider langsam los müssen. Wir verabschieden uns ohne jedes „Melde dich doch mal“, umarmen uns wieder viel zu lang und ich schleppe mich zum Ausgang.

Als mein Kumpel mich beim Hinausgehen prüfend von der Seite ansieht, wird mir klar, dass auch in einem überfüllten Kino kein Mann 15 Minuten zur Toilette geht. Die Unterhaltung brauchte nicht noch eine Person, die überflüssig danebensteht. Aber irgendwann brauchte sie jemanden, der sie auflöst. Im Auto lasse ich mich mit einem lauten Aufstöhnen in den Beifahrersitz fallen. Nach fünf Minuten Totenstille sage ich „Wir müssen an der Tankstelle halten und eine Menge Bier kaufen“ und er sagt „Alles klar“.