Wer hätte gedacht, dass es mir einmal so schwer fallen würde, dir einen Brief zu schreiben. Dass ich einmal so dasitzen würde – mir meiner Gefühle so sicher und doch meiner Worte so unsicher. Dass du, der mehr als sonst jemandem einer gebührt, jahrelang darauf warten musstest. Allein: Hast du überhaupt darauf gewartet? Oder wo bist du mit deinen Gedanken? Teilst du sie mit mir, wenn es auch mir gelingt?

Wenn die Zeit für gewöhnlich fliegt, dann hat unsere eine neue Art der Fortbewegung erfunden. Zugleich die Schallmauer pulverisierend und die Zeitlupe provozierend. Und in all ihren Extremen stets ein wenig überfordernd. Ist das normal? Wer weiß schon, was normal ist, wen kümmert es auch; es gehört wohl dazu. “Einfach kann jeder”, stelle ich mir neckisch aus deinem Munde vor.

Ich schieb’s auf die Zeit, um dir nicht Unrecht zu tun, denn du bist allenfalls herausfordernd – die Überforderung ist allein mir anzulasten. Was sollte ich dir auch zum Vorwurf machen? Was kannst du dafür, wenn ich zeitweise ziellos, gar zügellos bin? Du hast dich mir nicht aufgezwungen. Du warst einfach da, bist da. Und bist, wie du bist. Verzeih, wenn mir nicht immer die vorbildlichste Handhabung gelingt.

Erinnerst du dich an unseren ersten Kuss? Unseren ersten Spaziergang? Unseren ersten Tanz? Nein? Ich auch nicht. Jedoch immer an unseren letzten. Macht sie das nicht alle besonders? Nichts davon habe ich je außergewöhnlich gern gemacht und doch ist nichts davon gewöhnlich, so lange es mit dir passiert.

Dabei bist du so fordernd wie bescheiden, so anspruchsvoll wie genügsam. Nie hast du auf mehr bestanden, als du erwarten konntest; und doch habe ich stets alles zu einem inneren Kampf stilisiert, den in seiner Bedeutungslosigkeit nur ich solchermaßen überhöhen konnte. Mein Leid hast du beharrlich nie geteilt und mir damit den größtmöglichen Liebesdienst erwiesen. In einer meiner schwersten Phasen hast du mir versprochen, auf mich aufzupassen. Und mir allein mit diesem einen Satz eine Schuld aufgeladen, die ich mein Lebtag nicht zu begleichen fähig sein werde. Doch wenn ich mir einer Sache sicher sein kann, dann, dass du dies zugleich niemals einfordern wirst. Jeden Tag auf’s Neue führst du mir meine Unzulänglichkeiten vor Augen und verlangst doch kein einziges Mal einen Tribut. Deine Liebe ist bedingungslos und nichts anderes garantiere ich dir im Gegenzug. Das einzige Versprechen, für dessen Einhalten ich keine Energie aufbringen muss. Es geht nie vorbei, jetzt und immer werde ich dir die Frage danach bejahen.

Wenn du mich eines gelehrt hast in meiner Unbelehrbarkeit, dann, dies zu erkennen, so unscheinbar es mitunter auch sein mag. Dieses unaufdringliche Flüstern im Hier und Jetzt wahrzunehmen und dem lärmenden Störfeuer meiner Zerstreutheit nicht das Feld zu überlassen. Nicht an gestern oder morgen zu denken, nicht der Rastlosigkeit Raum zu geben, aus deren Umklammerung ich mich tagein tagaus zu lösen bemühen muss. Für dich spielen all diese Dinge keine Rolle, dir ist all das nicht wichtig. Und mit dir ist es nicht wichtig, denn mit dir ist jetzt, mit dir ist die Gegenwart.

Und deshalb ist der größte Satz aus deinem Mund auch: “Das war ein schöner Tag, Papa.”