Freitag. 16 Uhr. Endlich Wochenende. Der Arbeitstag hatte mich schon zur Mittagspause völlig geschafft. Auf dem Heimweg vernehme ich schon die lautstarken Lockrufe meiner Couch. Gerüchteweise soll auch das Fitnessstudio irgendwie nach mir gerufen haben, aber das konnte nie belegt werden. Es hat an Freitagen ohnehin meist Probleme mit den Stimmbändern, sodass es wohl kein Wunder gewesen wäre, wenn die Couch ihr locker den Rang abgerufen hätte.

Das Zuschlagen der Autotür gibt mir das Gefühl, zuhause zu sein. Aber als ich den Schlüssel ins Schloss unserer Wohnungstür stecke, beschleicht mich bereits ein mulmiges Gefühl. Nicht auszudenken, wenn unerwartet doch noch etwas zwischen mir und der Couch stehen würde. Bildlich gesprochen. Mit Öffnen der Tür fährt mir der Schock durch die Glieder. Auf dem Fußboden liegen Kerzen, ein Bild lehnt an der Wand, an der es gestern noch hing. Im Wohnzimmer stehen alle Schranktüren sperrangelweit offen, davor liegen Unmengen an Gerümpel. Überall brennt Licht und inmitten dieses Chaos sitzt Nele auf dem Fußboden, völlig verzweifelt. Mein mulmiges Gefühl sollte sich bestätigen. Beim Anblick unserer Wohnung wird klar: Nele dekoriert schon wieder um!

Der Nachmittag ist also erst einmal gelaufen. Ich kann froh sein, wenn in den Laden heute überhaupt noch Ruhe einkehrt.

Das mit dem Dekorieren ist so eine Sache bei uns zuhause. Als wir in die sündhaft teure Innenstadtwohnung gezogen sind, haben wir in den folgenden Wochen feierlich noch mehr Geld für all diesen Kleinkram ausgegeben, mit dem man sich so die Bude vollstellt. Zum Glück erinnere ich mich an das Meiste davon schon nicht mehr. Wir besitzen einen ganzen Schrank im Wohnzimmer, der komplett voll mit Deko ist. Das allein war für mich schon ein Widerspruch in sich, für Nele nur logisch. Und in der Folge schien sie es sich zur Lebensaufgabe gemacht zu haben, mir fortlaufend zu beweisen, dass man all dieses Zeugs wirklich braucht. Selbst wenn 80% davon immer im Schrank liegen.

In regelmäßigen Abständen nämlich überkommt es sie. Dann wird plötzlich alles umgeräumt und ehe man sich versieht, schaut das Schlafzimmer aus wie das Wohnzimmer und der Flur wie das Bad. Der künstliche Strauch, dem ich sonst auf dem Klo von Angesicht zu Angesicht gegenüber saß, sieht mir jetzt beim Schlafen zu. Zumindest für die nächsten zwei bis drei Wochen.

Wenn ich beim Einzug noch ein Mitspracherecht bei der Gestaltung unserer Wohnung hatte, gibt sich Nele heute nicht einmal mehr Mühe, mir vorzumachen, es wäre so. Diskussionen zwecklos.

“Wieso räumst du denn jetzt schon wieder alles um? Das letzte Mal ist nicht mal einen Monat her!”

“Weil es mir nicht mehr gefällt.”

“Nach drei Wochen schon???”

“Ja. Und außerdem freu’ ich mich immer, wenn es neu aussieht.”

“Aber mir gefiel es vorher, hab’ ich gar kein Mitspracherecht?”

“Doch, klar! Ich hab’ dir schon öfter angeboten, dass wir einen Deko-Nachmittag machen können. Dann nehmen wir uns ein paar Stunden Zeit und dekorieren hier zusammen.”

Clever. Nach so einer Breitseite würden wohl selbst Politikern die Argumente ausgehen. Ich hatte in diesem Moment stillschweigend mein Mitspracherecht abgetreten. Als hätte es je eins gegeben…

Wider Erwarten wird die Couch etwa eine Stunde später doch schon wieder bewohnbar. Und da ich froh bin, dass sie überhaupt noch vor dem Fernseher steht, verkneife ich mir weitere Kommentare. Stattdessen schiebe ich sogar ein “Legst du dich dann jetzt zu mir aufs Sofa?” nach. “Ich wollte eigentlich noch eben das Bad sauber machen und durchsaugen”. Natürlich, am Freitagnachmittag drängt sich das ja auch förmlich auf! Ein ganz normaler Tag im Hause Woehl…

Als ich wieder eine Stunde später dann von besagtem Durchsaugen geweckt werde, bin ich lieber dankbar für die erholsamen 60 Minuten, bevor ich noch zum Bügeln verdonnert werde. Um das an dieser Stelle klarzustellen: Ich bin weder Macho noch Dreckschwein. Wenn mich etwas stört, dann räume ich es selbst weg. Ordnung herrschte auch schon in meiner Singlewohnung. Aber das scheint in Neles Augen nicht genug zu sein, weil ich zum Beispiel “nie” das Bad putze.

“Das würde ich ja gerne, Schatz. Aber bis mir auffällt, dass es dreckig ist, hast du es schon zweimal geputzt. Wann soll ich es denn putzen? Wenn es noch sauber ist?”

Kam nicht so gut an. Ich bügle es mit einem “Ich werde in Zukunft verstärkt darauf achten” aus.

“Weißt du, wo unser Staubwedel ist?”

Stille.

Da regt mich ja die Frage schon auf. Ich überlege kurz, ob ich ihr vielleicht zur Abwechslung mal konstruktiv begegnen und bei der Suche helfen sollte. Dann wird mir allerdings klar, dass ich keinen Schimmer habe, wie “unser” Staubwedel aussieht, geschweige denn, wo er sein könnte. Also entscheide ich mich weiter für die vielsagende Stille. Mein Kontingent an dummen Sprüchen ist für heute aufgebraucht. Zum Glück wedelt sie schon nach kurzer Suche unter triumphierendem Grinsen mit dem Ding vor meiner Nase herum. Das Teil hatte ich tatsächlich noch nie gesehen!

Um die Stimmung nicht überzustrapazieren, suche ich lieber das Weite. Ich sollte einem Freund von mir dringend noch ein Buch vorbeibringen, außerdem brauche ich unbedingt ein paar testosterongeladenere Themen um mich herum.

Andreas ist ein ehemaliger Mannschaftskollege von mir und knapp doppelt so alt wie ich. Letzteres in Kombination mit der Tatsache, dass er Jogalehrer ist, hebt ihn in meinem Bild von ihm immer zu einem vaterfigurähnlichen Lebensberater. Und auch, wenn ich an diesem Abend so gar nicht danach suche, komme ich nicht umhin, mir eine verbale Watsche abzuholen.

Denn auch Christine, Andreas’ Lebensgefährtin, hat einen ausgeprägten Dekofimmel. Wir waren ganz zufällig auf das Thema gekommen. “Aber ich gönne ihr das. Sie hat Freude daran, also warum sollte sie es nicht ausleben?” Herr Gott, ist ja schon gut! Ich bin ein schlechter Mensch. Zeit, zu Kreuze zu kriechen…

Als ich dann nach einem einstündigen Großeinkauf mit einer Lastwagenladung Lebensmittel nach Hause komme – von denen gefühlt allein die Hälfte für das Festessen draufgeht, das ich für sie koche – ist wieder alles im Lot. Ist ja nicht so, dass hier nur eine den Haushalt schmeißt! Und um meine Behauptung von eben aufzugreifen, möchte ich im Stile eines bekennenden Nicht-Machos in der ausgelutschten Floskel “Frauen: Es geht nicht mit ihnen und nicht ohne sie” gerne den ersten Teil streichen. Seien wir ehrlich Jungs, ohne unsere Frauen wären wir aufgeschmissen!