Mein Name ist Christian Woehl und ich bin heute Ihr Erzähler. Genauer gesagt, bin ich in diesem Fall sogar der Autor. Da ich aber weder Journalismus studiert, noch eine Unmenge an Büchern gelesen habe, möchte ich aus meinem kleinen Hobby lieber keine Berufsbezeichnung ableiten. Sehen Sie mich als eine Art Begleiter durch die Geschichten. So, wie diese penetrante aber sympathische Stimme aus dem Off in den ganzen Woody Allen-Filmen. Ich bin hier, um Sie zu unterhalten.

Ich werde von Dingen und Erlebnissen erzählen, die mich – ob selbst erlebt oder von Freunden erzählt – dazu bewegt haben, sie aufzuschreiben. Von Beziehungen, Trennungen, Affären, Freundschaft, Parties und bestimmt auch von der Großen Liebe. Was das angeht, glaubt mein bester Freund nämlich gerade steif und fest, diese gefunden zu haben.

Simon und ich kennen uns schon seit der Mittelstufe. Und seitdem sind wir befreundet. Wir haben in derselben Fußballmannschaft gespielt und dieselbe Uni besucht. Aber was uns vor allem zusammengeschweißt hat, sind die Zeiten, in denen wir beide Single waren. Es verging kaum ein Samstagabend, an dem wir nicht auf die “Jagd” gingen, wie er es nannte. Diese bestand natürlich aus Alkohol, wahlweise Bars oder Clubs und, wie sollte es anders sein, Frauen.

Und Simon ist ein begnadeter Jäger. Oder er war einer, wie ich ja jetzt scheinbar sagen muss. Ich sträube mich noch ein wenig dagegen. Nicht, weil ich ihm sein plötzliches großes Glück nicht gönnen würde. Ich nenne es erst mal eine gesunde Skepsis, die bei jemandem wie ihm mehr als angebracht ist. Er will also die Eine gefunden haben. Statistisch gesehen ist es vermutlich auch gar nicht so unwahrscheinlich, dass bei den vielen Mehreren irgendwann auch mal die Eine dazwischen ist. Aber, dass Simon es dann merkt und anerkennt, steht dann auch nochmal auf einem ganz anderen Blatt. Ich hatte nämlich bisher nicht immer das Gefühl, dass er Frauen so sieht. Als Chance auf langfristiges Glück. Zu viele Geschichten hatten in der Vergangenheit auf das Gegenteil hingedeutet…

Es war einer dieser typischen Jagdausflüge, fünf Jahre wird das wohl schon her sein. Simon und ich, zwei überzeugte Singles und selbstbewusste Charmeure, hatten uns mal wieder traditionell am frühen Samstagabend die Sportschau (denn wer hat im Studium schon Geld für dieses verdammte Sky?) bei zwei oder zwölf Bier zu Gemüte geführt. Nach der obligatorischen Dusche kurz vorm Losgehen (“das steigert die Motivation nochmal um 300%”) trennt uns nur noch eine 15-minütige Fahrt mit der S-Bahn von unserer Stammkneipe, die taktisch klug natürlich schonmal mitten in der Innenstadt liegt.

Auch an diesem Abend bereitete uns Barkeeper Seb wieder mit Drinks zum Freundschaftsmischverhältnis angemessen auf die Jagd vor. Wodka Lemon. Fast schon spießig haben wir sogar einen Stammtisch, der aber eigentlich bloß zwei Barhocker am Tresen beschreibt. In unmittelbarer Nähe zu Seb. Seit wir diese Bar kennen, kennen wir Seb. Er ist einer von diesen Menschen, über die man, wenn man gefragt würde, wohl euphorisch sagen würde “Klaaar kenn’ ich Seb”. Und dennoch hat man außerhalb dieses einen Ortes, an dem man ihn kennt, noch kein einziges Wort mit ihm gewechselt. Man kann ihn sich nicht einmal außerhalb dieses Ortes vorstellen. Im Fall Seb: als würde er nur Barkeeper sein und sonst nichts.

An unserem Stammtisch sind tiefgründige Männergespräche an der Tagesordnung. Und zwar jedes Mal. Frauen werden immer erst später getroffen, Stammtisch ist Männersache.

Und auch an besagtem Abend wurde erst einmal wieder der Schlachtplan zurechtgelegt. Oder Jagdplan, um in der Metapher zu bleiben. Simon hatte an diesem Abend die Erkenntnis schlechthin parat, mit der er unser Aufreißverhalten revolutionieren wollte. “Man muss die Weiber ignorieren, Christian, dann kommen die von ganz alleine angekrochen”, rief er euphorisch und sichtlich gegen den Alkohol ankämpfend, als hätte er soeben die Lösung zur Wirtschaftskrise gefunden. Peinlich berührt versuchte ich, mein Gesicht vor den aufblickenden Kneipengästen zu verbergen, während Simon mir in theologischem Ausmaß erläuterte, wie wir an diesem Abend todsicher zwei Frauen klarmachen würden. “Du lächelst ihr ein- oder zweimal zu und dann guckst du die den ganzen Abend nicht mehr mit dem Arsch an”, erklärte er. “Das klappt, ganz sicher! Man wirft ihnen nur einen Knochen hin.”

Ich nickte. Ganz überzeugend, wie ich fand. Denn eigentlich war es mir nur zu unangenehm, diesen Gedanken als Ansatz für ausschweifende Diskussionen aufzugreifen. Simon erzählte dann noch die zugehörige Annekdote vom letzten Wochenende, an dem er nach einem Geburtstags-Sit-In mit seinen Arbeitskollegen auf Tour war. Am nächsten Morgen war er im Bett einer hübschen Blondine aufgewacht, die er auf der Tanzfläche zuvor scheinbar erfolgreich ignoriert hatte.

Als wir an diesem Abend auf der Tanzfläche ankamen, waren wir wieder hochmotiviert. Es war diese Phase, in der einem die Welt zu Füßen zu liegen schien. Wir waren Singles aus Überzeugung und kosteten das rigoros aus. Während wir uns einen Überblick verschafften, gab es weiter Wodka Lemon. Schon beunruhigend, wie vorhersehbar unsere Samstage zu sein schienen. Diesmal hatte mich sogar das süße Mädchen hinter der Theke mit den Worten “zwei Wodka Lemon?” begrüßt, obwohl ich Stein und Bein geschworen hätte, diese Frau vorher noch nie gesehen zu haben. Aber gut, warum von bewährten Gewohnheiten abweichen.

Simon hatte schon ein Ziel erfasst. Er warf mir noch eine Mischung aus Lächeln und Zwinkern zu, was mir wohl sagen sollte, dass er die zuvor offengelegte Taktik nun in die Tat umsetzen werde. Er ging auf die Tanzfläche und positionierte sich etwa drei Meter entfernt von einer sehr interessanten Blondine, die er vorher ausgemacht hatte. Bitte, liebe Frauen, verzeiht mir den Ausdruck “interessant”. Ich tat mich deshalb schwer damit, sie als hübsch zu bezeichnen, weil ich mit kurzen Haaren eigentlich so gar nichts anfangen kann. Aber sie war irgendwie cool. Ich glaube, kurzhaarige Frauen werden häufiger mit cool beschrieben als mit hübsch. Das mag an althergebrachten Schönheitsidealen liegen oder aber der Tatsache, dass schon eine beachtliche Portion Mut und Coolness dazugehört, sich die Mähne wegschneiden zu lassen.

Ihre Blicke trafen sich, beide lächelten. Simon wandte sich ab. Etwa 30 Sekunden später trafen sich ihre Blicke erneut, wieder lächelten beide. Und nun schien die Show zu beginnen. Simon wandte sich erneut ab, tanzte das Lied noch zuende und kam dann zurück zu mir an die Theke. Er grinste mich vielsagend an und nippte lässig an seinem Drink. “Wart’s ab, die kommt.”

Und sie kam. Ich wollte es kaum glauben. Nicht sofort, sie sah erst noch einige Male beinahe sehnsüchtig zu uns herüber. Berechnend und cool erwiderte Simon nur selten ihre Blicke. Fünf Minuten später standen die beiden angeregt plaudernd am Tresen. Mit den Worten “Hi, ich bin Nicole” war sie zu uns herübergekommen und Simon offenbar auf den Leim gegangen. Respekt!

Da sich Simon und Nicole offenbar sehr viel zu erzählen hatten, kam mir die glorreiche Idee, mir in den folgenden Stunden diese neue Technik ebenfalls anzueignen. Die Erfolgsquote hatte mich dann doch beeindruckt. Aber in den nächsten zwei Stunden hatte ich vor allem zahlreiche Gelegenheiten, meine Fähigkeit, mit Niederlagen umzugehen, zu verbessern. Besagte Fähigkeit wurde an diesem Abend auch hart auf die Probe gestellt, als junger Student und Single ist man da noch ehrgeiziger. Ich weiß nicht, ob es generell an mir oder dann doch an Simons fragwürdiger Taktik lag, aber ich kam mit Ignorieren nicht weit.

Simon schickte sich in der Zwischenzeit an, Vollzug zu melden und gab mir per Blickkontakt und kurzem Handzeichen zu verstehen, dass er sich mit Nicole ein Taxi teilen werde. Ich tat es ihm wenig später gleich, allerdings allein. Simon schlief in dieser Nacht nicht zuhaus. In gewisser Weise gehörte das damals an den Samstagen ohnehin dazu, da wir in vollkommen anderen Ecken der Stadt wohnten und somit immer einer beim anderen auf der Couch übernachtete, um den Katersonntag dann auch noch zusammen zu verbringen. “Süß ihr beiden”, sagt meine beste Freundin Lena immer. Naja, Singles haben Zeit für sowas.

Als Simon also an jenem Sonntag in Nicoles Wohnung aufwachte, wäre anzunehmen gewesen, dass er aus dieser auch möglichst schnell wieder verschwand. Diese Sache also als das ansah, was sie war: ein One-Night-Stand. Ein kurzes “Es war schön mit dir, ich ruf dich an. Tschüß” und weg. Ein typischer Morgen danach eben. Aber der Erfolg war ihm in dieser Nacht anscheinend zu Kopf gestiegen. Die Tatsache, dass seine Taktik aufgegangen war, führte ihn zu der Annahme, dass er dies noch weiter auskosten könne. Nur leider musste Nicole an diesem Sonntag “noch wahnsinnig viel für die Uni erledigen”, sodass er ihr seine Nummer hinterließ und noch vor dem Frühstück in die S-Bahn stieg und zu mir fuhr.

Simon kam aus dem Prahlen nicht mehr heraus und wollte schon beim Katerfrühstück (Burger und Pommes, was sonst?) Wetten mit mir darüber abschließen, wann er wohl die erste sehnsüchtige Nachricht von Nicole bekommen würde. “Der Sex war der absolute Wahnsinn, Christian! Die Frau ist wie ein wildes Tier!” Am Rande sei hier gesagt, dass diese Wortwahl schon einer strengen Zensur unterlag. Liebe Frauen, ihr wollt wirklich nicht hören, wie zwei Typen an einem versoffenen Sonntag über euch reden.

Leider haben wir an diesem Morgen keine Wette abgeschlossen. Denn, welche es auch gewesen wäre, ich hätte sie wohl gewonnen. Er hätte ewig auf die erste Nachricht warten können, bis heute wahrscheinlich, wenn er sie nicht zufällig wieder getroffen hätte. Drei Wochen hatte er nichts von ihr gehört, als wir das nächste Mal auf die Jagd gingen. Er würde es vermutlich nicht zugeben, aber ich glaube, das nagte ein wenig an ihm. Vor allem angesichts der großen Töne, die er am nächsten Morgen gespuckt hatte.

Nach drei Wochen waren wir jedenfalls wieder im selben Club unterwegs und hatten kaum die ersten beiden Wodka Lemon bestellt, da holten uns die besagten großen Töne auch schon mit komödiantischer Ironie ein. Da stand sie nämlich, an der Bar: Nicole. Und neben ihr ein vermutlich gut aussehender Fitnessstudiotyp mit Solariumsbräune. Und zwar deshalb “vermutlich”, weil ich mich unwohl dabei fühle, die Attraktivität von Männern zu beurteilen. Jedenfalls war an den Blicken, den zufälligen Berührungen und dem herzhaften Lachen unschwer zu erkennen, worauf das hier hinauslaufen würde. Und während Simon all diese Anzeichen wahrnahm und zum ersten Mal korrekt zu deuten schien, wurde ihm klar: Nicht erhatte sie aufgerissen, sondern umgekehrt. Sie war ihm nicht auf den Leim gegangen, sondern er war ihr auf den Leim gegangen, indem sie ihn glauben ließ, es sei andersherum gewesen. Ein hämisches Grinsen verkniff ich mir lieber. Und Lenas schallendes Gelächter, als ich ihr kurz zuvor von Simons Strategie erzählte, ließ ich lieber auch unerwähnt.

Simon war benutzt worden. Er war aufgerissen und wieder weggeworfen worden. Als die Blicke der beiden sich an diesem Abend trafen, machte sie derart überzeugt den Eindruck, als würde sie ihn nicht kennen, dass ich das sogar glaubte. Eine Prozedur, die ihm in ihrer Form zwar durchaus vertraut war, aber nicht aus dieser Perspektive. Es war eine ganz neue Erfahrung für ihn. Eine Erfahrung, die ihn als Mann und Mensch vielleicht weiterbringen könnte, wie ich hoffte. Doch da sollte ich mich getäuscht haben.

Es begann eine denkwürdige Epoche voller unbedeutender Bettgeschichten, wie sie selbst Hank Moody oder Charlie Harper wohl noch nicht erlebt hatten. Jagdausflüge, Baggerpartner – ich sollte in den folgenden Wochen durch sämtliche schlechten Klischees geschleift werden, dass es mir streckenweise unheimlich wurde. Aber zumindest hat er mir seitdem nicht wieder in Barney Stinson-Manier eine seiner bahnbrechenden Ideen unterbreitet.

Diese Phase sei nun vorbei, wie er mir also kürzlich andeutete. Es soll die Eine sein, die ihn nun auf den richtigen Pfad geleitet habe. Fast zehn Jahre unverbesserlichen Aufreißertums sollen somit nun ihr Ende gefunden haben. Ich glaube, es wird Zeit, mal wieder ein Treffen auszumachen. Auf die Geschichte bin ich nämlich sehr gespannt!